Textausschnitt aus dem Essayprojekt Dialoge — Kapitel 1
„Da hat der Kickl doch recht!“
So spricht mein Freund Otto Sinalco am 6. November 2020 neben mir auf seiner Wohnzimmercouch. Mir ist etwas unbehaglich zumute. Zwar handelt es sich bei meinem kärntnerischen Freund Otto nicht um einen solchen Kärntner wie diese – wie Kickl eben. Aber wie um Himmels Willen meint Otto das denn? Doch wohl hoffentlich so:
„Da hat der Kickl doch recht!“
Da, in diesem einen Punkt bloß. Ausnahmsweise. Sonst nicht. Meinen kärntnerischen Freund Otto habe ich immer als einen aufrechten Antifaschisten betrachtet im vor nicht allzu langer Zeit – sogar in unserem Jahrhundert, Jahrtausend noch – eindeutig faschistisch gewesenen Kärnten, einem Bundesland mit einem Landeshauptmann, der unzweifelhaft ein Faschist gewesen ist. Wäre es anders, wäre Kärnten nicht ein wenig anders geworden, wäre vor allem mein Freund Otto nicht anders, hätte ich mich gar nicht zu ihm nach Kärnten gewagt, in die Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee zu ihm auf die Wohnzimmercouch.
„Da hat der Kickl doch recht!“
O weh! Diese Betonung tut weh. Der Grund für meine Kärnten-Reise ist ja überhaupt nicht das antifaschistische Engagement Ottos gewesen, ich habe nicht vorgehabt, ihn gegen seine internen faschistischen Feinde zu unterstützen, und schon überhaupt ist es mir ferngelegen, ihm bei einem inner-kärntner-seelischen Konflikt als politischer Therapeut beizustehen. Vielmehr sind wir zu einem gemeinsamen Vortrag über Robert Musil & Sigmund Freund geladen gewesen, so bin ich auf seine Wohnzimmercouch geraten, wo ich ihm jetzt beim Konsum der ORF2-TV-Nachrichtensendung ZiB2 Gesellschaft leiste. Wenn Otto den Namen des FPÖ-Parteiobmanns in dem einen Satz, seiner Reaktion auf die Medienberichterstattung über die sich zuspitzende Korona-Krise so penetrant betont, hat das womöglich damit zu tun, dass beide, der Germanist und Historiker Otto Sinalco und der Freiheitliche Rechtsradikale und Korona-Impfgegner Herbert Kickl ihre schulische Sozialisation eine Zeitlang im kärntnerischen Villach verpasst bekommen haben? Der Stress auf dem Familiennamen des fanatischen FPÖ-Chefs bereitet mir Stress. Vorsichtig versuche ich den Abstand auf der Wohnzimmercouch zwischen Otto und mir zu vergrößern, ohne dass Otto es merkt, denn wer weiß, was die gemeinsame Sozialisation von Kickl und ihm im rotbraunen Nest Villach an unterdrückten aggressiven Neigungen – im tiefen Unbewussten Ottos bisher verborgen – wachsen lassen hat. War das nicht aus einer gegen den Strich gekämmten Lektüre aus den Villach-Passagen in Ottos unvollendetem Roman herauszulesen, wie er den Villacher Fasching und den Villacher Kirchtag beschreibt, mit unverhohlenem Hass und verhohlener Liebe? Vielleicht bleibt in jedem Villacher ein Stückchen faschistoider Sozialisation stecken. Einmal Villacher, immer Villacher. Oder sagte Otto seinen Satz gar so?
„Da hat der Kickl doch recht!“
Der Akzent auf doch wäre mir noch unheimlicher vorgekommen. So aspiriert hätte Ottos Satz mich genötigt, von der Wohnzimmercouch aufzustehen. Hat Otto, mein bisheriger Freund Otto, damit nicht die Vermutung ausgesprochen, dass im Faschismus des immer noch faschistischen Kärnten im Kern etwas Richtiges steckt, oder etwas Rechtes. Womöglich hat Otto den Satz ja sogar so ausgesprochen:
„Da hat der Kickl doch recht!“
Doch diese allerschlimmste Betonung traue ich Otto schlicht nicht zu, weil er trotz allem, trotz seines Satzes, mein Freund ist und unsere Freundschaft neben ihrer persönlichen Seite auch eine politische und ideologische hat, sozusagen eine Wertefreundschaft und immer eine Art von Glaubensfreundschaft gewesen ist. Selbst wenn Otto durch die Erlebnisse in seiner Kindheit und Jugend im rotbraunen Villach nicht – wie ich immer geglaubt hatte – von einem roten, sondern von einem rotbraunen Virus infiziert worden wäre, vermag ich nicht zu glauben, dass die Infektion im heute gealterten und gereiften Otto eine Aspiration des Wortes recht mit Rufzeichen auszulösen imstande ist.